Eigen- und Co-Regulation
In diesem zweiten Teil werde ich nun mehr darauf eingehen, wie wir uns selbst regulieren können, denn das steht an allererster Stelle, da damit erst die Regulation unseres Kindes möglich wird. Über unsere eigene Regulation und die Co-regulation unseres Kindes hinaus steht die Frage, wie wir unserem Kind signalisieren können, dass wir Schimpfwörter und verletzende Aussagen nicht gut finden, dass sie uns verletzten und dass wir friedvoll miteinander sprechen und umgehen möchten. Weiter ist es natürlich wichtig, wie wir es schaffen, dass sich unser Kind auch wieder gut fühlt.
Die eigene Regulation
Wie schon erwähnt, steht die eigene Regulation, bei einem wütenden Kind an erster Stelle. Denn was unser Kind in diesen Situationen braucht, ist das wir es Co-Regulieren, also dass wir es in seinen starken Gefühlen begleiten, halten und aushalten können. Das Kind ist tatsächlich davon abhängig, denn im Gegensatz zu uns Erwachsenen, ist unser Kleinkind rein hirnorganisch noch nicht in der Lage sich selbst zu regulieren und braucht unsere Regulation ganz dringend.
Sind wir aber selbst nicht reguliert, weil uns die Beschimpfungen unseres Kindes verletzen und aus der Bahn werfen, oder weil wir an dem Tag schon zu viel ‚abfangen‘ mussten und es der berühmte Tropfen ist, dann sind wir mit uns selbst beschäftigt und nicht in der Lage unser Kind zu regulieren.
Sinnbildlich müssen wir zuerst mit beiden Füssen fest und sicher stehen, um unser Kind in seinem Gefühlssturm halten zu können.
Wissen ist schon mal der erste Schritt
Wie ich schon im ersten Teil erwähnt habe, ist es zuerst wichtig das Wissen zu haben, warum ein Kind schimpft und weshalb die Worte nicht persönlich zu nehmen sind. Ich habe die Schatztruhen-Metapher genannt, um bildlich zu verdeutlichen, dass die Worte inhaltlich, also an der Oberfläche keine ernst zu nehmende Bedeutung haben, jedoch übersetzt aussagen, dass es dem Kind nicht gut geht und dass es in Not ist. Wir dürfen also die Worte an uns abprallen lassen, sie aber dennoch als einen großen Schatz anschauen und herausfinden, weshalb das Kind in einer solchen Not ist, dass es zu solchen heftigen Beschimpfungen greift.
- Also ist der erste wichtige Punkt, das Wissen darum, dass die Wut hirnorganisch für das Kleinkind nicht kontrollierbar ist.
- Der zweite Punkt ist, die Beschimpfungen nicht persönlich zu nehmen, sie sagen mehr über den Gefühlszustand deines Kindes aus, als über dich.
- Der dritte Punkt ist nun, dass Wissen darum, dass die Not des Kindes, wenn es dich beschimpft, sehr groß ist und es Regulation benötigt.
Mit diesem Wissen im Gepäck werden wir uns also zuerst um uns selbst kümmern.
Selbstregulation, aber wie?
Es gibt sehr viele Methoden, sich zu regulieren und da jeder Mensch individuell ist, ist es wichtig, dass du selbst für dich herausfindest, was genau dir hilft, denn das kann etwas ganz anderes sein als bei mir.
Einiges haben wir jedoch auch gemeinsam und daher kommen hier ein paar Möglichkeiten, die wirklich den meisten Menschen helfen, denn Fakt ist, wir sind alle mit einem Nervensystem ausgestattet und hier können wir perfekt ansetzen.
Grundsätzlich ist es wichtig sich über den Tag verteilt, unabhängig von äußeren Reizen, um sich selbst zu kümmern und regelmäßig einen Check-In bei sich selbst zu machen. Das muss nicht der Spa-Aufenthalt sein, oder irgendetwas Unerreichbares, es kann auch im Kleinen sein. Tägliche Dankbarkeitsübungen, Meditationen (auch kurze oder geführte sind viel wert), kurzes einchecken bei sich, also fühlen wie geht es mir gerade, wie fühlen sich meine Füße an, habe ich genug getrunken. Oder Tanzen, Musik hören, spazieren gehen. Was tut dir gut?
Oft sind wir in einem Modus des Funktionierens und jagen von A nach B und vergessen dabei uns selbst.
Und was tue ich, wenn es doch akut wird?
Manchmal kommt die Schimpftirade deines Kindes aber genau, wenn du gerade mit vollen Einkaufstüten in den 4. Stock mit 2 Kleinkindern nach einem anstrengenden Tag gestiegen bist und es gerade nicht geschafft hast, zu Tanzen oder einen Check-In bei dir zu machen.
Also, was du tun kannst, wenn es akut wird und der Sturm auf dich zu rauscht, ist mit deinem Nervensystem zusammenzuarbeiten und auf den Fahrersitz zu steigen. Ich möchte damit nicht sagen, dass es leicht ist, aber es gibt Wege indem wir es uns erstmal bewusst werden lassen und dann üben.
- Zuerst ist es wichtig zu spüren, dass mich gerade mein Autopilot steuert und ich die Steuerung wiedererlangen möchte. Das heißt ganz konkret zu stoppen, die Pause Taste zu drücken. Es gab einen Reiz und ich nutze ganz bewusst das 90 Sekunden Fenster* und halte so meine Reaktion zurück und atme bewusst tief ein und aus. In diesen 90 Sekunden flaut der Reiz in uns ab, und wir können wieder mit der Vernunft arbeiten. Reagieren wir sofort auf den Reiz, ist meist eine Überreaktion vorprogrammiert.
- Beobachte die Geschwindigkeit in der du atmest und wie tief du atmest.
- Versuche nun dein Atem zu beeinflussen und länger einzuatmen, den Atem zu halten und wieder langsam ausatmen, und voila, schon kümmerst du dich um dich selber.
Dein Nervensystem wird dir dankbar sein und sich langsam beruhigen.
Auch ein kaltes Glas Wasser, die 5-4-3-2-1 Methode, ans offene Fenster gehen, ausschütteln oder alle blauen Dinge im Raum suchen können dir helfen. Das alles sind kurze Achtsamkeitsübungen, die dein Nervensystem beruhigen und du findest die beste Lösung für dich, indem du vieles ausprobierst bis du deutlich spürst, dass etwas dir besonders hilft.
Ich bin jetzt ruhig, mein Kind schimpft aber noch
Das ist die beste Voraussetzung dafür, dass du dich um dein Kind kümmern kannst. Du bist nun in der Lage, die Verantwortung zu übernehmen dich um dein Kind zu kümmern. Du hast dich um dich selbst gekümmert und jetzt ist dein Fokus bei deinem Kind.
- Gehe in den Perspektivwechsel, versuche zu verstehen, weshalb dein Kind so wütend ist, dass es dich so beschimpft. Beachte, dass Wut aus vielen Gefühlen entstehen kann, da kann auch eine Trauer oder ein Schmerz dahinter liegen.
- Gehe auf Augenhöhe, so dass du nicht von ‚oben herab‘ agierst.
- Spiegele die starken Gefühle mit deiner Mimik, mit deiner Gestik, je nach Alter des Kindes mit einer vorsichtigen Benennung der Gefühle.
- Sammle die Schimpfwörter in einer imaginären Schatztruhe, lasse sie an dir abprallen, nehme aber gleichzeitig wahr, dass es um starke Gefühle, um eine Not deines Kindes geht.
- Rede wenig. Dein Kind ist in seiner Wut hirnorganisch nicht in der Lage, aufzunehmen was du alles erzählst.
- Versichere deinem Kind, dass du da bist und dass du es aushalten kannst.
Du wirst merken, dass es abflaut.
Schimpfwörter mögen wir nicht
Spüre nach, wie viel Zeit es wirklich braucht bevor du den nächsten Schritt gehst, es können Minuten sein oder Tage. Finde einen Zeitpunkt, an dem Du mit deinem Kind über Schimpfwörter sprichst, über die Verletzungen, die damit einhergehen. Bleibe dabei zugewandt und versuche dein Kind nicht zu beschämen oder zu bewerten.
Vielleicht gibt es Kinderbücher zum Thema, oder ihr versucht es mit Humor und schrägen Wortkreationen.
Bei größeren Kindern, kann man darüber sprechen, was die Worte denn genau bedeuten. Fragen und im Dialog bleiben, Interesse zeigen, vielleicht sind die Wörter neu und du kennst sie noch nicht. Durch den Perspektivwechsel und der Empathie können wir mit unseren Kindern reflektieren, weshalb etwa Kinder auf dem Schulhof, diese Worte nutzen.
Wie fühlt sich mein Kind jetzt?
Dein Kind wird sich sicher fühlen und das ist das wichtigste emotionale Grundbedürfnis. Du hast so als sicheren Hafen agiert, du hast dein Kind gesehen und gehört, du hast versucht es in seinem Anliegen zu verstehen und du hast es nicht beschämt oder bestraft.
So wird dein Kind immer wieder mit seinen starken Gefühlen zu dir kommen und das ist doch das Schönste, was wir uns als Eltern vorstellen können, oder?!
* Das 90-Sekunden-Fenster der Reiz und Reaktion wurde von Dr. Jill Bolte Taylor, einer Neurowissenschaftlerin, in ihrem Buch "My Stroke of Insight" erforscht.
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